Die Callas gibt es nicht mehr. Am 16. September 1977 stirbt die Opern-Ikone in Paris. Gleich in der ersten Szene von Pablo Larraíns neuem Film blicken Menschen auf ihren Leichnam herab. Eine Trage wurde herbeigeschafft, um die sterblichen Überreste des schillernden Bühnenstars davonzutragen. Und auch zuvor — „Maria“ springt zurück in die letzte Woche vor ihrem Tod — scheint die Sängerin nur noch ein Schatten ihrer selbst zu sein, der sich mit seinen Sehnsüchten konfrontiert sieht. Für Larraín ist dies der Abschluss einer herausragenden, wenngleich schwankenden Trilogie. Nach „Jackie“ über die First Lady Jacky Kennedy und „Spencer“ über Prinzessin Diana ist „Maria“ über Maria Callas der dritte Film über berühmte Frauen des vergangenen Jahrhunderts. „Maria“ ist dabei insofern bemerkenswert, als dass er sich sowohl von der Analyse eines Polit-Theaters des ersten Teils als auch dem märchenhaften Boulevard-Kitsch von „Spencer“ entfernt.
Stattdessen wendet sich Larraín in diesem Finale der lose, rein motivisch verbundenen Trilogie der Kunst selbst zu. Noch einmal singen, noch einmal alles aus der Stimme herausholen, auch wenn es die letzten Lebenskräfte kostet, für den Idealismus und die eigene Bestätigung. Davon träumt Larraíns Maria, die von Angelina Jolie mit einer hinreißenden Eleganz verkörpert wird. Wenig überraschend kreist der ganze Film um ihr Schauspiel und ihre Präsenz in den Bildern, die schon lange vor der Premiere bei den Filmfestspielen von Venedig für die Oscars in Position gerückt wurde.
In der Tat gelingt Jolie eine Darstellung, von der man kaum die Augen lassen kann. Gleich in einer eröffnenden Montage, in der Momentaufnahmen aus dem Leben und der Karriere der Callas in analoger Filmoptik vorbeiziehen, während Jolie in einer Schwarz-Weiß-Großaufnahme singend die Leinwand füllt, ist man hin und weg von diesen Ausdrücken, Posen, dem zaghaften Lächeln, den tiefen Blicken. Jolies Interpretation der Star-Persona ist deshalb so ergreifend, weil sie das Publikum dabei zusehen lässt, wie man eine Diva verkörpert: in ihrem bedächtig schreitenden Gang, den schweren Wimpernschlägen, der Haltung des geneigten Kopfes, der stillen Beobachtungsgabe, ehe verbal die richtigen Spitzen im Umgang gesetzt werden. Jeden Raum betritt sie wie die Bühne im Opernhaus. Und weil sie zugleich das Unsichere, Eingeschüchterte, Überforderte, unaufhaltsam Zerfallende integriert, mit dem die Konstruktion und Performance der öffentlichen Rolle zu kämpfen hat.
Insofern schließt Maria nahtlos an die Hürden und Möglichkeiten der prominenten Rollenspiele an, die schon die beiden Vorgängerfilme geprägt haben. Larraín verzahnt dieses Spiel ebenso mit einem Spiel mit dem Publikum. Maria ist unzuverlässig erzählt. Die Protagonistin ist tablettensüchtig, lebt in ihren letzten Tagen zurückgezogen mit ihren Hunden und zwei Bediensteten (Pierfrancesco Favino und Alba Rohrwacher), die die Kommandos des Stars aufopferungsvoll befolgen und doch nur hilflos dessen Wahn beiwohnen können. Ein TV-Team für ein Interview erwartet Maria Callas, das ein letztes Mal einen Streifzug durch ihr Leben einfangen soll. Nur: Ob das Interview real oder nur im Kopf stattfindet, weiß hier niemand so genau.
Larraín strickt daraus jedoch keinesfalls ein rein psychologisches Drama oder effekthascherisches Verwirrspiel, sondern einen transparent künstlichen, einen künstlerisch hochpräzise komponierten und eindrucksvoll ausgestatteten, kontrastreich montierten und mit knalligen Lichtstimmungen eingefärbten Spielfilm. Talent und Scheitern, Gegenwart und Vergangenheit, großer Erfolg und tiefer Fall, Glanz und dessen gescheiterte Kopie zerfließen in seinen Eindrücken. Einer Diva wie der Callas hinter die Fassade blicken zu wollen, es muss zwangsweise scheitern und kann immer nur ein artistisches Jonglieren mit Überlieferungen, Bildern und Fremdzuschreibungen sein. Das weiß auch dieser Film, wenngleich er versucht, den finalen Antrieb im Leben seiner Hauptfigur hin und wieder etwas floskelhaft auf das Streben nach Autonomie und Anerkennung herunterzubrechen.
Man sollte sich davon jedoch nicht beirren lassen; dafür sind die Fallen in der Inszenierung zu zahlreich aufgestellt. Was Maria auf der Leinwand entfaltet, ist Larraíns Denkmal einer nie zu besitzenden, schier überirdisch erscheinenden Fantasiegestalt und zuvorderst: eine Verneigung vor der Kunst des (Musik-)Theaters, die sich über eine rein individuelle Psychologisierung hinwegsetzt. Sie sucht über das Künstlichwerden nach höheren Wahrheiten, und vielleicht ist Maria der berührendste jüngere Versuch, die Oper vor der Vergessenheit zu retten. Weniger das persönliche Charakterdrama über das Verglühen und Altern eines erkrankten Stars steht hier im Vordergrund, sondern das Festhalten an jener Kunst bis zum Schluss wider ihr vermeintlich altbackenes Image.
Die Opernwelt, durch die sich Maria auch im Privaten bewegt, gleicht einem riesigen Museum mit Relikten, Artefakten und Dokumenten, den Formensprachen einer untergehenden Ära, die an Ruhm verloren hat, aber dennoch das Innerste und Universelle freizulegen vermag. Die Oper greift nach der ganzen Inszenierung des Films. Sei es in dessen Aktstruktur, im langen, selbstzweckhaften Auswalzen von Emotionen, den großen Dramen des Lebens, die im verdichteten Moment der aufgeführten Musik, Arie und szenischen Darstellung aufflackern.
Ihre Plattenaufnahmen hat sie nie angehört, weil sie perfekt sind, erzählt die Callas in Larraíns Film. Sie bricht eine Lanze für das Veränderliche, Einmalige des Live-Moments jenseits der Konserve. Kontrolle und Risiko des Scheiterns, vereint im Hier und Jetzt. Wenn Maria durch die Großstadt wandelt, begegnen ihr Chöre auf offener Straße, spielen Orchester im Regen und warten, dass die Callas endlich zu singen beginnt. Doch sie weiß, wann ihr Moment gekommen ist. Sie darf, allen Zwängen zum Trotz, Eigensinn und Unnahbarkeit behalten, auch filmisch: in den langen Einstellungen und nie gänzlich zu überschauenden Montagesequenzen, die Larraín einflicht und mit Werken des europäischen Opern-Kanons untermalt, mal mit Gesang, mal rein instrumental. Die Geschichten der Musik sprechen mit der fiktionalen Filmbiographie. Eine Hollywood-Ikone verschmilzt mit einer interpretierten Künstlerin und den Rollen, die diese berühmt gemacht haben. Ob Opern-Enthusiast oder nicht: Es ist schwer vorstellbar, von diesen Momenten in Larraíns grandiosem Biopic nicht mitgerissen zu werden.